'KAMTSCHATKA IM SOMMER'
- Vulkanische Naturgewalten am gefühlten Ende der Welt -
Ohne große Notiz der Medien verausgaben sich auf Kamtschatka einige tätige Vulkane auf dem derzeit wildesten geologischen Tummelplatz der Erde. Für die Luftfahrt ist diese vulkanische Tätigkeit sehr von Belang, denn eine wichtige Luftverkehrsstraße führt über das russische ‚Nowhere' im Nordosten Asiens hinweg. Von den rund 50 aktiven Vulkanen auf Kamtschatka eruptieren fünf alleine in diesem Sommer.
Wir sehen nichts im dichten Nebel. ‚Sommer in Kamtschatka', scherzt Artyom, unser einheimischer Begleiter auf einer neuntägigen Trekkingtour zwischen bis zu Mont Blanc hohen Vulkanen im Inneren der Halbinsel. ‚Auf die atemberaubenden Aussichten müssen wir einstweilen warten', sagt Artyom. Nur einen Tag später pieksen Eiskristalle unsere Gesichter, als wären wir nun auf einem Akupunktur-Erfahrungstrip.
Artyom versinkt in meterhohen Schneeverwehungen bis zum Schritt, die der aufziehende Sturm in Kürze aufgebaut hat. Er lacht dabei! Klar ist Artyom als Einheimischer mit über 30 kg Gepäck auf dem Rücken von 20 Grad Celsius und Sonnenschein, bis zu etlichen Graden unter Null und Schneesturm bestens ausgerüstet. Ich allerdings eher nicht, weil ja 'Sommer' ist. Wenigstens haben wir ausreichend Fertignudeln dabei, denn auf Jagd nach Fischen, Beeren und Bären, sind wir difinitiv nicht eingerichtet.
Wir atmen schwer durch bei diesen Bedingungen, mit weniger Schokoriegeln auf dem Rücken als Artyom, dafür mit um so mehr Fotoausrüstung. Im Schneesturm erreichen wir eine Zweizimmerhütte der Vulkanologen am ersten Trekkingziel, dem aktiven Vulkan Bezymianny. Bei 1 Grad Celsius in der Hütte ist es relativ behaglich. Artyom blickt grinsend auf meinen Sommerschlafsack, der am anderen Skalaende von behaglich liegt, wie mir nachts zitternd klar wird. ‚Sommer in Kamtschatka, ich hab's verstanden'.
Nach Tagen in der eisigen Zwickmühle zwischen drinnen oder draußen frieren, liegt der Eissturm endlich hinter uns und wir freuen uns über milden Nebel und Nieselregen. So geht es weiter dem nächsten Ziel entgegen -Tolbachik. Explosionsdonnern des seit November 2012 ausbrechenden Vulkans leiten uns im Nebel besser als jedes GPS Gerät. Jeder Schritt auf den jüngst ausgeworfenen vulkanischen Lockerstoffen wird mit einem Knirschen und leisen Klirren quittiert. Beißende Schwefelgase steigen uns in die Nase. Erschreckend deutlich hören wir zunehmend Lavaschlacken und sogenannte vulkanische Bomben krachend vor uns aufschlagen. Es wird spannend.
So warten wir in dem gespenstischen Szenario, bis sich der Nebel endlich lichtet. Vor uns breitet sich nun die unfassbar imposante neue Landschaft am Fuße des 3800 m hohen Tolbachik Vulkankomplexes aus. Dampfende und teils noch fließende Lavaströme erstrecken sich viele Kilometer lang über die Vulkanflanken, mehrere an die hundert Meter hohe Schlackehalden haben sich um die aufgerissenen Erdspalten aufgebaut. Ganze Landstriche sind verschüttet und überflossen worden, Wälder, Bachtäler, Fahrtrassen und auch Schutzhütten.
Selbst für die Vulkanologen vor Ort kam, trotz guter geologischer Überwachung, der Ausbruch im November 2012 überraschend und besonders die monatelange anhaltende Tätigkeit und Quantität der ausgestoßenen Lava war unerwartet. Vor dieser noch immer anhaltenden Aktivität im Sommer 2013 stehen wir nun mit freudigen und staunenden Augen. In zwei Konzerthallen großen Kratern brodelt über tausend Grad heiße Lava. In kurzen Abständen entweicht vulkanisches Gas aus den Förderschloten so explosionsartig, dass wir unweigerlich zusammenzucken während der Boden um uns zittert. Lavafetzen und feine Partikel werden in den Himmel geschleudert, was besonders zur Dämmerung ein fantastisches Lichtspiel erzeugt.
Nach einer spannenden Nacht mit Feuerwerk erkunden wir das junge Vulkangelände mit unserem Begleiter Artyom. Er ist schon oft mit Touristen am Tolbachik gewesen, hat diesen aber mit seinem letzten Ausbruch im Jahr 1976 natürlich noch nie aktiv erleben können. Als er noch ein Baby war, wurde die Vulkanlandschaft für das Mondlandeerproben der russischen Kosmonauten genutzt. Seit damals war Tolbachik eher ein ruhiges Touristenziel und Artyom hatte mit Heliski und Bärenfotoexkursionen genug anderes in Kamtschatka zu tun. Im Moment des Entdeckens von glühenden Lavakanälen und Höhlen vergisst er genau wie wir, welche Strapazen hinter uns liegen. Es ist faszinierend und zieht uns über Stunden in den Bann. Großes Kino!
Dank natürlicher Fußbodenheizung von den Lavaströmen der letzten Tage, die mit Aschen abgedeckt sind und auf denen wir nun zelten, erhoffe ich mir Kompensation zu meinem Sommerschlafsack mit Schlotterkomfort. Zu dumm, als mir dann im nächsten nächtlichen Sturm die Zeltwände um die Ohren fliegen, während mein Rücken auf besagtem Boden gegrillt wird, wie ein rücklings zappelnder schmackhafter Käfer im Wok. Aber auch diese Nacht geht vorbei und am Ende verlassen wir die Naturgewalt weinenden Auges.
Weiter geht es zum Shiveluch, einem explosiven Stratovulkan nördlich des Tolbachik und der Vulkangruppe des Klyuchevskoi. Unser Fahrer Vasili schafft es, seinen Geländebus des russischen Modells GAZ66, bis recht nah an den aktiven Lavadom über Stock und Stein klettern zu lassen. Längst befinden wir uns dabei in dem Gelände, was 2004 von einer viele hundert Grad heißen Vulkanlockerstoffwolke vernichtet wurde. Da heißt es Nerven behalten, besonders für Vasili und Artyom, die zum ersten Mal am Shiveluch sind. Sie halten die Distanz zum Lavadom in Anbetracht der zerstörten Landschaft für relativ risikoreich. Ich beruhige aber beide schließlich mit der Erfahrungsformel: ‚Passt schon!'.
Nach dem Zeltaufbau im Sturm scherzt Artyom mal wieder: ‚Sommer in Kamtschatka!'. Wir lachen inzwischen darüber und lassen uns die Fährten von umherstreunenden Braunbären von ihm erklären. ‚In Kamtschatka soll es über 15000 Braunbären geben, die bis zu 700 kg wiegen und 3 Meter Größe haben önnen', erklärt uns Artyom. Bei den vielen frischen Spuren und unseren Sichtungen glauben wir das. Wieder einmal warten wir also auf gutes Wetter, diesmal allerdings im gemütlichen GAZ66. Vasili spendet zu unserem Brot köstliche Beerenmarmelade, die seine Frau eingekocht hat. Dazu gibt es Geschichten von Vulkanbesuchen und Bärenbegegnungen, die die beiden zum Besten geben.
Mit atemberaubender Fernsicht zu den gigantischen Nachbarvulkanen kündigt sich dann abends gutes Wetter an. Rotglühende Lava in der Nacht und eine kolossale Explosion zeigen uns, wie tätig der Shiveluch momentan ist und am Vormittag bei blauem Himmel geht es dann ab am Vulkandom. Zähes Material löst sich vom Dom und donnert gen Ebene auf uns zu. Für einen Moment denke ich, dass so etwas wohl dem Blickwinkel einer Ameise bei Waldbrand entspricht. Ein kilometerhoher Turm aus heißen Gas und Gesteinsstaub baut sich vor uns auf. Dann packt der Wind diese bedrohliche Schleppe und zieht sie weg von uns, dafür leider gen einem kleinen Fischereihafen an der Ostküste Kamtschatkas. Noch am gleichen Tag sitzen die Menschen dort in dem Himmel verdunkelnden Vulkanstaub. Ja, wir waren nah dran, aber eben auf der richtigen Windseite.
Wir sind kaum auf dem Heimweg nach Deutschland, als dann auch noch der 4835 Meter hohe Vulkanriese Klyushevskoi spektakulär ausbricht. ‚Warum liegt jegliches Feuerland immer in den extremsten Zonen dieser Erde?'
Bilder von links: Hütte am Bezymianny im Scheesturm; vulk. Bombe als Fotoobjekt; Tolbachik; Kamtschatka(c)VEI 2013
Bilder von links: Lavafluss Kanal am Tolbachik; Lavaflussblick; Krater mit Lavaseen; Kamtschatka(c)VEI 2013
Bilder von links: Tolbachik explosiv; brodelnder Lavasee; Blick auf Klyu und Nachbarn; Kamtschatka(c)VEI 2013
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Bilder von links: Vasili vor seinem GAZ66 am gasenden Shiveluch; Blick zum Klyichevskoi; Eruption des Shiveluch; Kamtschatka(c)VEI 2013
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Mehr zu Kamtschatka von C. Weber und A. Rohnfelder
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Kamtschatka Essay als pdf bei adri.de (http://www.adri.de/presse/kam_essay_dt.pdf)
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Kamtschatka Feature als pdf bei adri.de (http://www.adri.de/presse/kam_dt.pdf)
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Adrian Rohnfelder: Übersicht der Veröffentlichungen, u.a. Kamtschatka Feature! (http://www.adri.de/veroeffentlichungen/)
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Zu den Autoren:
Christoph Weber ist Vulkanologe und arbeitet seit 15 Jahren als Reiseveranstalter und Autor. Seine Erfahrung an/auf rund 300 aktiven Vulkanen weltweit kommen Medien- und Wissenschafts-Expeditionen genauso zu Gute, wie seinen vulkaninteressierten Reisebegleitern/innen. Durch die Reiselogistik seiner Firma Vulkan Expedition International, sind einige TV-Sendungen entstanden.
Adrian Rohnfelder arbeitet freiberuflich als Projektmanager. Mit seiner fünfköpfigen Familien, als auch mit Reisefreunden, ist der ambitionierte Naturfotograf so oft wie möglich in den Bergen unterwegs. Sei 2008 hat sich eine große Leidenschaft für aktive Vulkane entwickelt, was sich in seinen Reiseberichten und Fotoreportagen wiederspiegelt.
Adrian Rohnfelder: Übersicht der Veröffentlichungen (http://www.adri.de/veroeffentlichungen/)
Vulkanische Tätigkeiten in Kamtschatka im Sommer 2013 von Nord nach Süd:
Shiveluch 2013; Domwachstum, Explosionen, Glutlawinen
Klyuchevskoi Juli bis Nov.; Strombolianische Tätigkeit, Explosionen, Lavaströme
Bezymianny Jan. bis Apr.; Domwachstum, Glutlawine
Tolbachik Nov. 12 bis Juli; Spalteneruption; Lavasee; Lavaströme
Kizimen 2013; Glutlawinen, Lavaströme
Karymski 2013; Explosionen
Zhupanovski Okt; Explosionen
Dazu auf den russischen Kurilen Inseln weiter nach Süden:
Chirinkotan Mai bis Nov.; Asche
Rasshua Feb; Domwachstum
Ketoi 2013; Explosionen, Asche
Chirpoi Mai bis Nov.; Gasausbrüche
Medvezhia Jan; Domwachstum
Grozny Gruppe März; Strombolianische Tätigkeit, Explosionen
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